Die Operationszentrale im Einsatzführungskommando ist jederzeit in Betrieb, um den Informationsfluss zwischen Einsatzgebieten und der Bundeswehr im Inland sicherzustellen. Foto: Bundeswehr/Marc Tessensohn

Die Operationszentrale im Einsatzführungskommando ist jederzeit in Betrieb, um den Informationsfluss zwischen Einsatzgebieten und der Bundeswehr im Inland sicherzustellen. Foto: Bundeswehr/Marc Tessensohn

10.03.2024
Jan Meyer

„Die Truppe hat sich unter teils sehr gefährlichen Bedingungen bewährt”

Generalleutnant Bernd Schütt leitet das Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Welche Herausforderungen gemeistert wurden und wie die Zukunft des Einsatzführungskommandos aussieht, erzählt er im Interview. 

Die Bundeswehr: Herr General, die Bundeswehr kann auf gut drei Jahrzehnte Auslandseinsätze zurückblicken. Wie ist Ihre Bewertung: Was lief gut, was nicht? Worauf kann die Bundeswehr stolz sein?

Generalleutnant Bernd Schütt: Die Auslandseinsätze der letzten drei Jahrzehnte haben die Truppe geprägt und die Strukturen unserer Streitkräfte bestimmt. Diese waren daher bislang auf Durchhaltefähigkeit und ein breites Fähigkeitsspektrum im Rahmen eines Kontingentsystems zu Lasten von Tiefe und Autarkie der Verbände und Großverbände zur Gefechtsführung ausgerichtet. Die Truppe wurde auftragsorientiert, kontingentweise aus unterschiedlichen Einheiten, Verbänden und Großverbänden zusammengestellt, ausgebildet und in den Einsatz verlegt. Die eigentliche Einsatzdurchführung erfolgte dann meist auf Gruppen-, Zug- und Bataillonsebene, beziehungsweise vergleichbarer Größenordnung bei durch See- oder Luftstreitkräfte dominierten Einsätzen. Die Bedrohungslage war im Wesentlichen durch Asymmetrie bestimmt. Die vorgesetzten Großverbände in Deutschland hatten in erster Linie als Truppensteller zu fungieren.

Spätestens mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist eindeutig, dass diese, auf internationales Krisenmanagement und Effizienz ausgerichteten Strukturen nicht hinlänglich sind, um einem militärisch gleichwertigen Gegner die Stirn bieten zu können.

Die eingeleiteten Bundeswehr-Reformen im Rahmen der oft zitierten „Zeitenwende“ spiegeln diesen Handlungs- und Anpassungsbedarf wider!

Unabhängig davon aber werden viele Erfahrungen aus den Stabilisierungseinsätzen auch in die neue Auftragslandschaft zu übertragen sein. Denn internationales Krisenmanagement (IKM) und Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) werden zukünftig eng miteinander verwoben und gleichzeitig wahrzunehmen sein. Hierzu zähle ich unter anderem die Umsetzung der Erfahrungen in Bezug auf erforderliche Interoperabilität und Multinationalität, bedrohungsgerechte Ausrüstung, unter anderem mit Jammern, geschützten Kfz und persönlicher Bekleidung sowie die Bedeutung von bewaffneten Drohnen. Natürlich gehört zu den Errungenschaften der Einsätze auch die Weiterentwicklung der gesetzlichen Grundlagen, zum Beispiel in Bezug auf das Einsatzweiterverwendungs- und das Einsatzversorgungsgesetz, die Würdigung von Tapferkeit und die Anerkennung von PTBS sowie die Einführung einer würdigen, zeitgemäßen Erinnerungskultur. Schließlich ist die Erkenntnis, dass nur ein ressortübergreifender Ansatz mit realistischen Zielen am Ende zum Erfolg führen kann, den Einsätzen zu verdanken. Letzteren sehe ich auch im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung als „conditio sine qua non“.

Fest steht aus meiner Sicht eines: Die Truppe hat sich unter schwierigen, zum Teil sehr gefährlichen Rahmenbedingungen bewährt und den vom Parlament erteilten Auftrag nach besten Kräften erfüllt. Sie hat sich dabei eine gute internationale Reputation erworben! Ich meine, dass wir auf die Leistungen der Männer und Frauen unserer Bundeswehr in den Einsatzgebieten zurecht stolz sein dürfen. Dass die Einsätze am Ende nicht immer von Erfolg gekrönt sind und sich zum Teil über Jahrzehnte hinziehen, hat viele unterschiedliche Gründe und ist meines Erachtens nicht der „Performance“ der Truppe anzulasten.

Die Bundeswehr: 20 Jahre lang waren deutsche Soldaten in Afghanistan, 10 Jahre in Mali. Ist die Ära der großen Out-of-Area-Einsätze zur Friedensdurchsetzung und -sicherung mit großem personellen und materiellen Aufwand angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage nun vorbei?

Generalleutnant Schütt: Das würde ich so niemals unterschreiben! Wir dürfen den Fehler der 90er Jahre nicht wiederholen und die Streitkräfte einseitig auf nur ein Einsatzszenario ausrichten.

Angesichts der hybriden Bedrohungsformen, mit denen wir uns zukünftig konfrontiert sehen und die darauf ausgerichtet sind, Kohäsion von Gesellschaften und Bündnissen aufzubrechen, Einflusssphären des Westens zurückzudrängen, Dilemmata in der politischen und militärischen Entscheidungsfindung zu generieren sowie eigene Macht- und Regimevorstellungen durchzusetzen, müssen wir darauf eingestellt sein, Einsätze im Rahmen des IKM und der LV/BV gleichzeitig wahrzunehmen und umzusetzen. Dies, weil es meines Erachtens ein sicherheitspolitisches Vakuum nicht geben wird, wie uns unter anderem die Entwicklungen in der Sahelzone deutlich vor Augen führen.

Die Bundeswehr: Die Bundeswehr richtet sich konsequent auf die Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung aus. Was bedeutet das für das Einsatzführungskommando? Überspitzt gefragt: Haben Sie überhaupt noch etwas zu tun?

Generalleutnant Schütt: Diese Frage stellt sich nicht wirklich, weil das Einsatzführungskommando schon immer für die von mir soeben erwähnte gleichzeitige Wahrnehmung von Aufgaben steht und darauf ausgerichtet ist.

Richtig ist, dass mit Afghanistan und MINUSMA die beiden bekanntesten Einsätze formal beendet sind, wenngleich Folgearbeiten, wie die Unterstützung der ehemaligen Ortskräfte oder die Rückverlegung des Luftumschlagspunktes in Niger weiterhin im Kommando wahrzunehmen sind.

Richtig ist aber auch, dass es im Aufgabenfeld Internationales Krisenmanagement weiterhin gilt, die durch den Bundestag mandatierten, laufenden Einsätze an die geänderte Sicherheitslage anzupassen. So bereiten wir unter anderem den Aufwuchs des deutschen Beitrags bei KFOR vor, gliedern unser Kontingent UNIFIL um und bereiten die Operation ASPIDES im Roten Meer in enger Abstimmung mit dem Marinekommando vor, um die nationale Führung nach „Transfer of Authority“ an die EU zu übernehmen.

Im Rahmen unserer Aufgabe des nationalen Risiko- und Krisenmanagements werten wir die gesammelten Erfahrungen aus den jüngsten, durch uns national geführten Evakuierungsoperationen in Afghanistan und im Sudan aus und sind darauf eingestellt, bei Bedarf eine Evakuierungsoperation im Nahen Osten nach kurzer Vorbereitungszeit erneut auf den Weg zu bringen.

Unsere Abteilung Spezialoperationen nimmt neben der teilstreitkraftübergreifenden Fähigkeitsentwicklung und der Führung diverser Ausbildungsmissionen zwei zusätzlich sehr herausfordernde Aufgaben wahr. Die Sicherstellung des Beitrages der Spezialkräfte im Rahmen des Operationsplans Deutschland und die angezeigte Übernahme der Verantwortung für die Aufstellung und Einsatzbereitschaft des „Special Operation Component Command West“ mit einem Verantwortungsbereich, der in Europa weit über die nationalen Grenzen hinausreicht.

Schließlich führen wir national die Kräfte, die an den Flanken des Bündnisses u.a. in der Slowakei und in Litauen eingesetzt sind, werten die NATO-Verteidigungspläne auf operativer Ebene aus, bringen nationale Positionen zu Raumordnung und Kräfteansatz ein und legen dem Ministerium in enger Abstimmung mit den militärischen Organisationsbereichen entsprechende operative Ratschläge vor.

Sie sehen, arbeitslos sind wir bei weitem nicht! Die nationale Führung der gegenwärtig immer noch 15 Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen ist dabei nur ein Baustein unseres Aufgabenportfolios.

Die Bundeswehr: Seit 2022 gibt es mit dem Territorialen Führungskommando ein Pendant zum Einsatzführungskommando. Welche Schnittmengen gibt es mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung?

Generalleutnant Schütt: Ich bin dankbar, dass ein zweites operatives Kommando aus dem bisherigen Kommando Territoriale Aufgaben gebildet worden ist. Die Komplexität der heutigen Einsatzrealität verlangt meines Erachtens nach Aufgabenteilung auch auf operativer Ebene. In diesem Rahmen muss Deutschland beziehungsweise die Bundeswehr beides gleichzeitig können. Gewährleistung der „Drehscheibenfunktion Deutschland“ für den Aufmarsch alliierter und eigener Kräfte in Deutschland sowie den Einsatz der dafür angezeigten Kräfte an den Grenzen des Bündnisses im Ausland.

Der 24. Februar 2022 hat uns einen kleinen Vorgeschmack auf die Herausforderungen gegeben, die im Falle von Krise und Krieg auf uns zukommen werden. So war in der Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine die eFP Battlegroup in Litauen in kurzer Zeit zu verstärken, waren Umgliederungen in mehreren Einsätzen erforderlich, um rare Fähigkeiten wie z.B. Luftbetankung dem Bündnis an anderer Stelle zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus waren Vorbereitungen für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger sowie Schutzbefohlener, einschließlich Personalgestellung zu treffen und wir darauf eingestellt, die nationale Führung über die durch Deutschland gemeldeten Reaktionskräfte der NATO (NRF) zu übernehmen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es keine Anschläge oder Lähmungen in Deutschland, waren noch keine Anfragen auf Host Nation Support oder militärische Hilfeleistungen vorhanden und bewegten sich noch keine Großverbände über deutsche Autobahnen oder das Schienennetz.

Ich hoffe, dass die Komplexität militärischer Aufgaben – insbesondere in Krise und Krieg – durch diese lediglich beispielhafte Aufzählung ein wenig deutlicher wird. Meines Erachtens sind wir daher gut beraten, nicht länger in erster Linie auf Effizienz von Strukturen, sondern vielmehr auf Effektivität, Resilienz und Durchhaltefähigkeit zu schauen.

Schnittstellen werden sich dabei nie verhindern lassen! Wichtig ist, die klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten mit entsprechenden Kräften und Mitteln zu hinterlegen, die dann im Rahmen der in komplexen Lagen unverändert bewährten Auftragstaktik umzusetzen sind.

Die Bundeswehr: Das Einsatzführungskommando ist dem BMVg direkt nachgeordnet, das durch Minister Pistorius derzeit strukturell neu ausgerichtet wird. Steht auch das Kommando vor Veränderungen?

Generalleutnant Schütt: Das Einsatzführungskommando hat sich in Folge der Erkenntnisse des 24. Februar 2022 bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2023 in seinen Strukturen und Verfahren an die Gleichzeitigkeit der „neuen Einsatzrealität“ angepasst.

Kern dieser internen Anpassung ist die Stärkung des operativen Bereichs zu Lasten von Querschnittsaufgaben. Durch die Aufstellung von je einer Unterabteilung für den Bereich IKM und LV/BV unter Beibehalt der Gliederung des Stabes nach Führungsgrundgebieten, sind wir in der Lage, die genannten vier Aufgabenfelder parallel wahrzunehmen und bei Bedarf mit entsprechenden Operationszentralen zumindest temporär personell durchhaltefähig zu hinterlegen. Dies haben wir u.a. bei der Führung der Evakuierungsmission im Sudan sowie bei der Vorbereitung einer vergleichbaren Operation im Nahen Osten bei zeitgleich erfolgender Rückverlegung von MINUSMA unter Beweis gestellt. Diesen „Zweisäulenansatz“ werden wir auch für den Bereich der Spezialkräfte im Jahr 2024 umsetzen, um der neuen Aufgabenstellung sowohl für den Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung als auch im Rahmen des nationalen und internationalen Krisenmanagements gerecht zu werden.

Die Bundeswehr: Die Zahl der Krisen und Konflikte nimmt weltweit eher zu als ab. Was bedeutet das für die Handlungsfähigkeit Deutschlands? Hat die Bundeswehr in Zukunft noch die Fähigkeit und die Kapazitäten, schnelle Kriseninterventionseinsätze außerhalb Europas durchzuführen?

Generalleutnant Schütt: Wie bekannt, können wir nur auf ein „Single Set of Forces“ zurückgreifen. Richtig ist, dass die operativen Anforderungen an die Bundeswehr qualitativ und quantitativ deutlich steigen, die Bindungswirkung für die Truppe erhöht sich signifikant.

Wie bereits erwähnt, darf dies jedoch nicht dazu führen, dass wir uns nur auf eine Aufgabe ausrichten. Die zukünftige Herausforderung wird darin bestehen, die richtige Balance zwischen Kräften hoher Verfügbarkeit für Bündnisverpflichtungen und die Sicherstellung nationaler Aufgaben zu finden und dabei Flexibilität für „unerwartete“ Aufträge und Missionen zu erhalten, ohne die Truppe zu überfordern. In diesem Rahmen spielt das richtige Erwartungsmanagement national wie international sowie die politische aber auch bundeswehrinterne Akzeptanz von notwendigen Priorisierungen meines Erachtens die zentrale Rolle.

Die Bundeswehr: Welche Szenarien haben Sie vor Augen?

Generalleutnant Schütt: Ich bin davon überzeugt, dass wir zukünftig noch mehr mit strategischen und operativen Überraschungen rechnen müssen.

Die russischen Angriffe auf die Krim und die Ostukraine, die politischen Umstürze in der Sahelzone, das Wiederaufflammen von Gewalt im Kosovo, der menschenverachtende Terrorangriff auf Israel durch die Hamas, mit der Folge des erneuten Anstiegs von Anschlägen im Irak und Syrien sowie die Angriffe der Huthies im Roten Meer zeigen uns doch deutlich, wie schnell und unvorhergesehen sich die sicherheitspolitische Lage ändern und militärisches Handeln auch der Bundesrepublik Deutschland erforderlich werden kann. Dies in unterschiedlichsten Ausprägungsformen, von Ausbildungsbildungshilfe über die Gestellung von Verstärkungskräften bis hin zur Entsendung von Truppen in neue exekutive Einsätze, wie jetzt ins rote Meer.

Dort wo die Interessen Europas und der Bundesrepublik Deutschland betroffen sind, werden wir als Bundeswehr nicht abseits stehen können. Wir werden also weiterhin eine breites Fähigkeitsspektrum benötigen, das natürlich finanziell, materiell und personell zu hinterlegen ist! Wo immer Zielkonflikte auftauchen, wird die Politik über die Priorisierung von Kräften auf der Grundlage eines qualifizierten militärischen Ratschlags zu entscheiden haben. Der Hinweis auf Verpflichtungen an der einen Stelle wird dabei nicht wirklich helfen, denn priorisieren heißt nun mal, an anderer Stelle bewusst zu verzichten.

Die Bundeswehr: Mit der geplanten Mission EU NAVFOR ASPIDES sehen wir ein Beispiel für das, was uns künftig jederzeit drohen kann. Wie sehen Sie diesen Einsatz?

Generalleutnant Schütt: ASPIDES ist ein Paradebeispiel dieser eben genannten Notwendigkeit zur lageabhängigen Priorisierung und Balancierung der Kräftegestellung. Für mich als Staatsbürger ist dieser Einsatz notwendig,um den nicht nur für die Weltwirtschaft bedeutsamen Seeweg durch den Suezkanal offen zu halten, und so deutsche Interessen, Personen und Güter zu schützen sowie internationales Recht durchzusetzen. Die Priorisierung dieses Einsatzes zu Lasten einer zuvor eingegangenen Stand by-NATO-Verpflichtung ist meines Erachtens für jedermann gut nachvollziehbar.

Unstrittig ist dies ein gefährlicher Einsatz, der auch zu Tod und Verwundung von eigener Truppe führen kann. Dem sind sich alle Verantwortlichen vollständig bewusst.

Vor diesem Hintergrund stellt die Marine für diesen Einsatz erfahrenes und hoch qualifiziertes Personal sowie mit der Fregatte Hessen eine für diesen Einsatz sehr gut geeignete, schwimmende Einheit bereit. Als Befehlshaber des Einsatzführungskommandos bin ich davon überzeugt, dass die Besatzung im internationalen Umfeld ihren Auftrag umsichtig und professionell erfüllen wird und sich bei Bedarf der Situation angemessen zu verteidigen weiß.

Wir werden die notwendigen Rahmenbedingungen für diesen fordernder Einsatz unter anderem in Bezug auf Logistik, rechtliche Begleitung sowie medizinische Versorgung schaffen und die nationale Führung übernehmen!

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